Weltärztebund

WMA

Deklaration von Helsinki 1964

Empfehlungen an die Ärzte für die Durchführung wissenschaftlicher Versuche am Menschen

Angenommen durch die 18. Generalversammlung in Helsinki, Finnland, Juni 1964
Cave : aktuell ist die Version von 2013


Einleitung

Die Sorge für die Gesundheit der Mitmenschen bildet die naturgemäße Aufgabe des Arztes in der menschlichen Gesellschaft. Er soll dafür in voller Übereinstimmung mit seinem Gewissen alle seine Kenntnisse einsetzen.

Das Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes enthält das Gebot: „Die Gesundheit meines Patienten soll meine erste Sorge sein" und die Internationale Standesordnung verbietet dem Arzt, „einen Rat zu erteilen oder eine ärztliche Maßnahme prophylaktischer, diagnostischer oder therapeutischer Art vorzunehmen, die nicht im unmittelbaren Interesse des Patienten liegt". Insbesondere untersagt sie jegliche Handlung, welche eine Schwächung der körperlichen oder seelischen Widerstandskraft eines Menschen zur Folge hat und nicht therapeutisch notwendig ist.

Ein wissenschaftlicher Fortschritt im Interesse der leidenden Menschheit ist nicht denkbar, ohne die Übertrag der im Laboratoriumsversuch gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen. Aus dieser Überzeugung hat der Weltärztebund Empfehlungen für die Durchführung wissenschaftlicher Versuche am Menschen ausgearbeitet. Diese sollen das Verantwortungsbewußtsein der Ärzte auf der ganzen Welt festigen. Die Empfehlungen entbinden die Ärzte aber nicht von der Beachtung der strafrechtlichen, zivilrechtlichen oder berufsrechtlichen Vorschriften ihres eigenen Landes.

Bei allen wissenschaftlichen Versuchen am Menschen muß grundsätzlich unterschieden werden zwischen
Versuchen, die in erster Linie im Interesse der Behandlung des Patienten vorgenommen werden
und
Versuchen mit ausschließlich wissenschaftlicher Zielsetzung ohne Bedeutung für die ärztliche Behandlung der Versuchsperson.

 

I. Gemeinsame Bestimmungen

1. Die allgemeinen moralischen und wissenschaftlichen Grundsätze, welche die Forschung in der Humanmedizin rechtfertigen, gelten auch für die Versuche am Menschen.
Versuche am Menschen müssen sich daher auf Labor- oder Tierversuche oder andere wissenschaftlich bewährte Methoden und Erkenntnisse stützen können

2. Versuche am Menschen sollen nur von wissenschaftlich qualifizierten Personen ausgeführt und von einem dazu befähigten Arzt überwacht werden.

3. Versuche am Menschen dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn die Wichtigkeit des Zweckes im Verhältnis zu der damit für die Versuchsperson verbundenen Gefahr steht.

4. Jedem Versuch am Menschen muß eine sorgfältige Abschätzung der damit verbundenen Gefahren im Vergleich zu dem vorhersehbaren Nutzen für die Versuchsperson oder für andere Personen vorangehen.

5. Der Arzt muß besondere Sorgfalt bei der Durchführung von Versuchen am Menschen üben, bei denen die Persönlichkeit der Versuchsperson möglicherweise durch Arzneimittel oder den Versuchsablauf verändert werden könnte.

 

II. Der therapeutische Versuch

1. Bei der Behandlung des Kranken muß dem Arzt die Anwendung einer neuen therapeutischen Maßnahme freistehen, wenn sie nach seinem Urteil die Hoffnung bietet, das Leben des Patienten zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder seine Leiden zu lindern.
In dem Maße, in dem dies möglich und der psychologischen Verfassung des Patienten angemessen ist, muß der Arzt ihn aufklären und seine freie Zustimmung einholen. Ist der Patient rechtlich handlungsunfähig, bedarf es auch der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters; ist er physisch handlungsunfähig, so wird seine Zustimmung durch die seines gesetzlichen Vertreters ersetzt.

2. Der Arzt kann mit dem Ziel, neue medizinische Erkenntnisse zu erlangen, den Versuch mit der Behandlung nur in dem Umfang verbinden, als es der therapeutische Wert für den Patienten rechtfertigt.

 

III. der nicht-therapeutische Versuch

1. Auch bei Versuchen am Menschen zu ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken bleibt es Aufgabe des Arztes, Leben und Gesundheit der Versuchsperson zu schützen.

2. Der Arzt muß der Versuchsperson Art und Sinn des Versuches sowie die damit für Leben und Gesundheit verbundenen Gefahren erklären.

3. a) Versuche am Menschen dürfen nur vorgenommen werden, nachdem sich die Versuchsperson - und bei rechtlich handlungsunfähigen Personen auch ihr gesetzlicher Vertreter - auf Grund der vorausgegangenen Aufklärung mit dem Versuch freiwillig einverstanden erklärt hatte.

3. b) Die Versuchsperson muß sich in einem solchen geistigen, körperlichen und rechtlichen Zustand befinden, daß sie in der Lage ist, in vollem Umfang ihre freie Entscheidung zu treffen.

3. c) Die Zustimmungserklärung soll in der Regel schriftlich abgegeben werden. Die Verantwortung für einen Versuch am Menschen trägt jedoch immer der leitende Wissenschaftler und niemals die Versuchsperson, obgleich sie dem Versuch aus freien Stücken zugestimmt hat.

4. a) Der Versuchsleiter muß das Recht jedes Menschen auf geistige und körperliche Unversehrtheit respektieren; besondere Bedeutung kommt dieser Forderung dann zu, wenn die Versuchsperson in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem Leiter des Versuchs steht.

4. b) Der Versuchsperson oder ihrem gesetzlichen Vertreter muß es jederzeit freistehen, den Versuch abbrechen zu lassen.

Der Versuchsleiter und seine Mitarbeiter sind ihrerseits verpflichtet, den Versuch abzubrechen, wenn seine Fortsetzung ihres Erachtens für die Versuchsperson Gefahren auslöst.

© 1964, Weltärztebund / World Medical Association (WMA)     ( aktuell ist die Version von 2013 !)
deutsche Übersetzung : Bundesärztekammer/Kassenärztliche Bundesvereinigung : Deutsches Ärzteblatt (28.Nov.1964) 61(48):2533-2534
Die deutsche Übersetzung geben wir hier dank der Genehmigung des Weltärztebundes und der Bundesärztekammer wieder.


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